ee THESING

SINN

4 Arbeitszyklen / 2007–2014

SINN handelt vom Leben und seinen natürlichen Zyklen – vom Werden und Vergehen. Es handelt vom Menschen, der in diesen Kontext gepflanzt und ihm dennoch entfremdet ist.

SINN 1

Matsch+Monolog

Drucke und Zeichnungen auf Papier
je 84 cm 59,5 cm

Matsch+Monolog ist eine grafische Arbeit, die das komplexe Thema "Mensch und Natur" in Ausschnitten behandelt, analysiert und poetisch reflektiert.

Inhaltliche und formale Zusammenhänge werden weitgehend aufgelöst und deren Gegenstände separiert. Einzeln betrachtet, sind die Plakate poetische Fokussierungen; in ihrer Kombination öffnen sie Räume für assoziative Erweiterungen.

SINN 2

vorundnach

Mischtechnik auf MDF
Formate: 94 cm x 137 cm
94 cm x 68,5 cm

„vorundnach“ ist eine emotionale Arbeit und beruht auf subjektiven Wahrheiten. Was zuvor separiert wurde (Matsch+Monolog) wird in dreifacher Hinsicht in Beziehung gesetzt (im einzelnen Bild, in der Anordnung der Motive und in der Gesamtheit aller Exponate). Leben und Tod, Generationswechsel und die Verwandlung der „wilden“ Natur in eine bezwungene Welt sind die zentralen Themen.

„vorundnach“ ist eine variable Bildergeschichte. Nur Anfang und Ende sind festgelegt, alle weiteren Exponate werden frei angeordnet. Einzelne Motive wiederholen sich. Der Betrachter wird so verführt, einem Handlungsstrang nachzuspüren. „vorundnach“ ist Teil einer Geschichte, die von der grundsätzlichen Komplexität des Lebens erzählt.

Béla B. Jász-Freit

zu SINN 2 / vorundnach

ICH BIN HIER

2018

Die erste Konnotation, die sich bei der Rezeption des Thesingschen Bilderzyklus aufdrängt, ist: Pop-Art. Uns begegnen röhrende Hirsche, Gartenstühle, ein Schädel, Waldmotive, die sich vorerst jeglicher Zuordnung entziehen und wiederkehrende schwarze Quader, deren Sinn sich uns (noch) nicht erschließt. Die Künstlerin und Grafikerin Elke Thesing lädt auf der Reise durch ihren Bilderzyklus dazu ein, sich Gedanken darüber zu machen, wie man ihre Serie tatsächlich in Worte fassen kann. Sie imitiert eine Collage, jedoch ohne etwas zu kleben; vielmehr erschafft sie eine Reminiszenz an althergebrachte Techniken wie die Radierung. Scheinbar willkürlich sind die teils wiederkehrenden Motive angeordnet, finden sich jedoch nicht immer freigestellt, sondern ganz im Gegenteil in einer verstörenden Kulisse wieder.

Nehmen wir einmal den Gartenstuhl. Ein ganz gewöhnlicher weißer Plastikgartenstuhl, millionenfach (re)produziert, an Uniformität nicht zu überbieten, eine Kopie einer Kopie. Ein solches, leicht schmutzig wirkendes Exemplar ist das Motiv eines ihrer Bilder. Dann aber taucht solch ein Gartenstuhl gleich sechsfach in einer anderen Szenerie auf: Verloren steht die Gruppe da, einer der Stühle ist umgefallen. Man evoziert den überhasteten Aufbruch einer Gruppe von Menschen, eine Flucht vielleicht. Im Hintergrund wabert verschwommen Rauch, der aus Industrieschornsteinen zu kommen scheint. Ebenso könnte es aber auch ein brennender Wald sein - zu indifferent ist die Szene geschaffen, was aber ihrer Bedrohlichkeit keinen Abbruch tut. Ein anderes Werk zeigt eine triste Landschaft, deren Boden einen Sarg mit einer mumifizierten Leiche birgt. So bekommen wir Einblick in etwas, was wir sonst gar nicht wahrnehmen könnten. Möglich wäre sogar, dass diese Szene uns aus einer anderen Sicht offenbart, was die erste Szenerie, die mit den Gartenstühlen, noch nicht preisgeben wollte. Grau in Grau sind Elke Thesings Bilder und genauso empfangen sie uns: Mit einer düsteren Note, deren Sinn wir vorerst höchstens erahnen können. Wir fragen uns mit einem Male plötzlich, ob die Hirsche wirklich röhren. Sie grasen ja auch nicht. Vielleicht brüllen sie ja vor Angst, vor Schmerz?

Daneben entdecken wir das Bild eines Jägers. Nun passt alles, meinen wir. Der Jäger schießt den Hirschen und Thesing dupliziert sein gellendes Todesröcheln, damit es uns intensiver in Erinnerung bleibt. Aber was ist das? Der Lauf der Machete ist auf den Jäger selbst gerichtet: Durch die Umstellung des zweiteiligen Jägerbildes wirkt es nun so, als würde sich dieser selbst in den Rücken schießen. Die Serie beginnt ein komplexes Bedeutungsverhältnis zu offenbaren, ohne dabei plakative Kritik zuüben. Dass der Jäger zum Gejagten werden kann, zeigt sich auch in der Konstellation junges Mädchen - Wolf: Hier wird eine Analogie zu Rotkäppchen entworfen, bei der man sich aber trotz der kindlichen Unschuld des Mädchens fragen muss, ob der Wolf nun blutet weil er gerissen hat oder weil er erschossen wurde - in letzterem Fall könnte das Mädchen ja ebenso erlernt haben, eine Waffe zu bedienen.

Ein anderes Bild zeigt einen vermutlich älteren Mann, der einen Pflug vor zwei Gäule gespannt hat. Es ist die Deklaration eines Tieres als Nutztier, von dem wir schon vergessen zu haben scheinen, dass es weltweit nur noch als ein solches fungiert, und dies nicht erst kürzlich. Thesing scheint diese Grafik einer Fotografie zu entlehnen, verfremdet diese aber durch Stauchung und Reduzierung der Graustufen, sodass ein universelles Szenario entsteht, von der man keine Gewissheit darüber habe kann, wo in der Welt die Szene ihren Ursprung hat. Diese Arbeit ist vergleichsweise eher fotorealistisch und steht damit im frappanten Kontrast zu drei weiteren Arbeiten, die wieder die grafische beziehungsweise popkulturelle Machart bedienen. Diese sind der oben erwähnte Totenkopf, dann drei große Punkte auf einem Gitternetz im Hintergrund, welche unwillkürlich die Konnotation zu Mickey Mouse provozieren und einem dritten Bild, das eine lächelnde Grimasse, ja fast Fratze zeigt, die von einem schwarzen Rahmen umgeben ist. Dieser Rahmen ist wie ein klassischer Fensterrahmen angeordnet: Das obere Drittel ist mittig unterteilt und die unteren zwei Drittel bilden das dritte Quadrat, welches die Grimasse einschließt. Diese Aufteilung ist streng geometrisch und deckungsgleich mit der Anordnung der drei Punkte, welche die

Mickey Mouse Metaphorik auslösen. Wiederum könnte die konkrete Ausformulierung der Fratze das fehlende Puzzlestück zu dem Totenschädel sein, dessen hohle Augenknochen Platz für die allerdings nicht minder unbeseelten Augen der Grimasse böten.

Es wird klar, dass sich bei Elke Thesing die Elemente wiederholen, aber in diverser Konstellation. Während die grafischen Elemente das Verschwommene, Angedeutete durchbrechen, ist jede Arbeit nur im Kontext zu den anderen, zum Gesamtbild zu sehen und zu verstehen. Das Besondere an Thesings Konzept ist es nämlich nicht nur, künstlerische Mischtechniken zu präsentieren. Vielmehr erzählt jedes Bild eine eigene kleine Geschichte und unterbreitet ein eigenes kleines Geheimnis, eine bestimmte Stimmung. Dieserart wirken die einzelnen Bilder der Serie wie Puzzlestücke, die erst im Gesamten gesehen ein vollkommenes Bild ergeben. Es ist sogar anzunehmen, dass der Wunsch, ein mögliches Geheimnis hinter der gesamten Serie entschlüsseln zu dürfen, in der Rezeption von Elke Thesings Bilderserie weit tiefgehender aufkommt, als es der Betrachter von einer gewöhnlichen Einzelausstellung gewohnt sein dürfte. Diese Strahlkraft auf alle anderen Bilder - sodass jedes von ihnen im Gesamtkontext als gleichwertig zu erachten sein muss - erreicht Thesing zweifelsohne durch ihre subtile Zitathaftigkeit ihrer selbst. Die Künstlerin stellt plakative, einfach zu deutende Bilder solchen gegenüber, die komplex, verstörend und zerstörerisch anmuten.

Einige Motive scheinen im Nebel zu liegen, welcher Klarheit, Gelöstheit und den Horizont versagt. Auch findet sich ein schwarzes Rechteck wie der Kubricksche Quader inmitten einer weißen Schneelandschaft gleich einer Art Büchse der Pandora, dessen Funktion wir zunächst nicht deuten und auch den Inhalt lediglich nur erahnen können. Diese öffnet sich jedoch in einem weiteren Werk für den Zuschauer und entpuppt sich als eine Art Portal zu der serienumfassenden Waldmetaphorik. Es sind Unklarheit und ein Schleier, die die Bilder der Künstlerin regieren. Klare

Formen und geometrische Grundstrukturen dekonstruiert sie, indem sie für sie ein tristes, in mindestem Maße postindustrielles, vielleicht gar präapokalyptisches Setting entwirft, dessen kathartische Wirkung auch mit den finalen beiden Bildern der Serie ausbleiben muss: Das vorletzte Bild der Serie zeigt einen dichten, undurch-dringlichen Wald, der in seiner Machart fast an einen Silber-gelatineabzug erinnert. Er ist mit seinem Dickicht und Geäst so hermetisch, dass ein Ausweg aus ihm unmöglich scheint. Daneben zeigt die Künstlerin das Schlussbild der Serie. Knapp eintausend schwarze kleine Quadrate (beziehungsweise nach umgekehrter Betrachtungsweise ein Netz aus weißen Linien) führen bei eingehender Betrachtung dazu, dass in den Quadratecken wieder die Farbe erscheint, die Elke Thesings gesamte Serie dominiert hat: Grau.

Wichtiger noch ist aber der Satz, mitten aus dieser geometrischen, pointilistischen Vollkommenheit hervorlugend: "Ich bin hier". Drückte am Ausgangspunkt des Bilderzyklus die Sentenz "Ich wollte Worte so schön" noch eine Art Bedauern, ein solches vielleicht auch göttlicher Art, zumindest aber einen trostsuchenden, sehnsuchtsvollen Wunsch aus, der aufgrund seiner Präteritumform als konjunktivisch unerfüllt zu erachten sein muss, so gleicht dieser letzte Satz einem Hilfeschrei, der nicht erhört werden wird. Zu uniform ist sein Ursprung, seine Umgebung, welche zweifelsfrei als Abstraktion einer Großstadt, genauer: Einer immensen Häuserfassade mit ihren immer gleichen Fenstern, oder aber auch als Abstraktion einer Schachbrettmuster-großstadt aus der Vogelperspektive gelesen werden darf. Somit können die Quadrate ebenfalls als eine Abstraktion des Waldthemas überhaupt, welches Thesings 21-teilige Serie wie auch das Fenster- und Rahmenmotiv maßgeblich umspannt, geltend gemacht werden.

Der Ausdruck "Ich bin hier" kann und muss als verbalisierte Verortung des Subjektes in einer unklaren Welt und undefinierten Umgebung gesehen werden, der uns nur dann zuteil werden kann, wenn wir die Reise mitgegangen sind.

Gesamtformat: 2,82 m x 6,85 m

SINN 3

Nasser Hund – 365 d / Lyrik

Lyrische Kreisphilosophie in 365 Zeilen
Fotografie + Typografie /
(Ausstellung: Installation mit Textbändern)

"Nasser Hund – 365 d" ist eine lyrische Wanderung durch die Jahreszeiten.
In assoziativen Bildern entfaltet sich eine existenzphilosophische Suche nach dem Sinn. Der Kreis wird zum abstrakten Gebilde, das alles enthält und alles umschließt.

Immanenz

beschränkt

um

Erweiterung

bemüht

kreisen

innen

und

außen

nicht

denken

nur

sein

Lyrik und Fotografie auf Alu-Verbundplatte 3 mm
je 59,4 cm x 84,1 cm

Editorial:
Lyrik: Druck auf 100 g/qm Papier |
Format DIN A2
Fine: Digitaldruck auf 400 g/qm Naturpapier |
Format DIN A5

SINN 4

Gewand–(bild) / Objekt

Mischtechnik auf Büttenpapier
gewachst und genäht
110 cm x 140 cm

Im Gewand–(bild) bündeln sich die Erkenntnisse der vorangegangenen Arbeiten. Der Kreis ist Motiv, Abstraktion und Formel zugleich – Sinnbild des Ganzen. In ihm verbinden sich die Aspekte Ich (Mensch), Sehnsucht (Trost) und Zyklus (Unendlichkeit).

Poesie und Ästhetik zeigen sich auch in der technischen Umsetzung. Das Material ist saugfähiges Büttenpapier, das in einem heißen Wachsbad einen Wachsüberzug erhält. Der ölig wirkende Wachsfilm, die milchige Verschleierung des Motivs, eine eigenwillige Struktur und die entstehende Papiertransparenz verleihen den Exponaten eine archaische Anmutung.

Das zweidimensionale Bild wird zum Objekt – zum genähten Gewand, das den Menschen kleidet, umhüllt und schützt. Zwei transparente Kreisbilder überlagern sich und erzeugen eine formale wie inhaltliche Mehrschichtigkeit.

Im Gewand–(bild) verdichtet sich die existenzphilosophische Erkenntnis der gesamten Werkreihe: die Ambivalenz allen Seins, der Widerspruch, der jeder Wahrheit innewohnt – der Gegensatz von Leben und Tod.

Die Form des Gewandes ergänzt das Bild des Kreises: Die Geste der offenen Arme beschreibt einerseits Öffnung und Versöhnung (Trost und Hoffnung), zugleich aber auch Verletzbarkeit (Ambivalenz).

After
Sense

Fukushima | 2011

"After Sense / Fukushima" führt die Gedanken aus SINN 4 / Gewand–(bild) weiter. Die Arbeit verbindet die Idee des Kreises mit dem Ereignis von Fukushima und öffnet damit erneut einen Raum zwischen Ordnung und Zerstörung, Kontinuität und Bruch.

Die Anordnung der Wachstafeln mit rotem Kreis (Analogie zur japanischen Flagge) entspricht der Form eines Gewandes (Analogie zum Kimono). Der Aufdruck »11.03.2011 / 14:47–Ortszeit«, auf jeder Wachstafel markiert den Zeitpunkt der Katastrophe von Fukushima.

Stempel auf Büttenpapier
gewachst |
genäht auf Passepartoutkarton
95 cm x 135 cm